Zwischen Ost und West – Die Republik Moldau als Spielball der Großmächte

VON ARMIN GHASSIM

Die Republik Moldau ist ein Land mit zwei Negativrekorden: Erstens ist es das ärmste Land Europas. Zweitens wandern aus keinem anderen europäischen Land mehr Menschen ab. Nach Schätzung der UNO wird die Bevölkerung bis 2070 um ein Drittel schrumpfen. Dabei galt das Land einst als Obst- und Gemüsegarten der Sowjetunion. Es war die am dichtesten besiedelte Region der ehemaligen Weltmacht. Heute steckt Moldau in einer Identitätskrise, abhängig von Russland und der EU. Ein Blick in die Geschichte zeigt, was das Land heute bewegt.

 

 

Wie Moldau zur Republik wurde

 

Die vergangenen Jahrhunderte ähneln einem Pingpongspiel. Russland und Rumänien sind die Spieler, Moldau der Ball. Beide Länder herrschten abwechselnd über das Gebiet von der Größe Nordrhein-Westfalens.

 

Ab 1512 wurde das Fürstentum Moldau von den Osmanen regiert. 280 Jahre später, nach dem russisch-türkischen Krieg, traten sie es ans russische Zarenreich ab. 1856 verlor Russland den Krim-Krieg und die Siegermächte übergaben Rumänien die Vorherrschaft über Moldau. Mit dem Zweiten Weltkrieg nahm Russland sich das Land zurück, es wurde Teil der Sowjetunion.

 

In der sowjetischen Bevölkerungspolitik liegt eine der Grundlagen für die bis heute andauernden Konflikte in Moldau: Moldauer und Rumänen wurden verdrängt und als mögliche Nazi-Kollaborateure verfolgt. An ihrer Stelle siedelten die Sowjets Russen und Ukrainer an. Eine sowjetisch-moldauische Identität sollte an Stelle der rumänisch-moldauischen treten. Das kyrillische Alphabet ersetzte die lateinische Schrift.

 

Mit dem Zerfall der Sowjetunion erlangte Moldau 1991 erstmals den Status einer unabhängigen Republik.

 

 

Rumänien – der große Bruder

 

In der Endphase der Sowjetunion war der lange unterdrückte Nationalismus der moldauisch-rumänischen Mehrheit immer stärker geworden. Viele forderten eine Vereinigung mit Rumänien. Das förderte nach dem Zerfall der Sowjetunion eine Gegenreaktion der ethnischen Russen, Gagausen und anderen russlandfreundlichen Einwohnern Moldaus. Sie fürchteten, in einer Art Groß-Rumänien Bürger zweiter Klasse zu werden. Russland befeuerte diese Angst. Das turksprachige Gagausien erlangte Autonomiestatus, der Transnistrien-Konflikt eskalierte und wurde durch Eingreifen der russischen Armee 1992 eingefroren, bis heute.

 

 

Heute hat der Landstreifen zwischen dem Fluss Dnister und der Ukraine eine eigene Regierung, eine eigene Währung und eine Polizei, die die Grenze kontrolliert – als Staat wird Transnistrien aber von keinem anderen Land anerkannt, nicht einmal von Russland. Die politischen Einstellungen der Moldauer verliefen in diesen Konflikten nicht einfach entlang der ethnischen Linien. Vor den Sowjets hatten die rumänischen Faschisten das Land besetzt. Auch das hat bei den Moldauern Spuren hinterlassen: Längst nicht alle wollten einen Zusammenschluss mit Rumänien.

 

Heute ist die Vereinigung mit Rumänien kein Thema mehr. Der große Bruder bleibt aber der wichtigste Nachbar, als Hauptimporteur moldauischer Waren und als Tor zur EU: Durch den Nachweis rumänischer Wurzeln können Moldauer den rumänischen Pass beantragen und als EU-Bürger in Rumänien, Italien oder Deutschland arbeiten.

 

 

Der russische Klammergriff

 

56 Prozent der Moldauer bedauern den Zerfall der Sowjetunion, nur 25 Prozent sind froh über ihr Ende. Die Erinnerungen an die Zeit als Obst- und Gemüsegarten der Sowjetunion leben weiter. Außerdem sind russische Medien bis heute sehr einflussreich. Die meisten Moldauer informieren sich über das Fernsehen, nicht über das Internet. Russischsprachige Sender erreichen ein großes Publikum, daher stehen viele Moldauer geopolitisch auf der Seite Präsident Putins.

 

Moldauer und Russen sind nicht verfeindet, wirtschaftliche und soziale Kontakte zwischen den Volksgruppen sind Alltag, auch über die transnistrische Grenze hinweg. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Konflikt auflebt, geht laut Analysten gegen Null. In Transnistrien sind über tausend russische Soldaten stationiert, die Grenze und Waffenlager schützen. Russland verteilt dort Staatsbürgerschaften, um seinen Einfluss zu rechtfertigen. Die eigenen Staatsbürger im Land zu haben, ist potenziell eine völkerrechtliche Legitimation für eine humanitäre Intervention zur „Rettung eigener Bürger“, ähnlich wie im Fall der Krim.

 

Russland hat starkes Interesse, seinen Einfluss auf Moldau nicht zu verlieren. Dabei benutzt es vor allem wirtschaftliche Druckmittel: Russland ist nach Rumänien der zweitgrößte Importeur moldauischer Produkte und gleichzeitig der größte Energieversorger des Landes und Hauptziel moldauischer Arbeitsmigranten.

 

Die moldauische Politik versucht zunehmend, unabhängiger zu werden: Es werden neue Märkte erschlossen, ein Energie-Deal mit der Ukraine und Assoziationsabkommen mit der EU sollen die Abhängigkeit von Russland beenden.

 

 

2014 schloss die Republik Moldau ein Assoziationsabkommen über eine vertiefte und umfassende Freihandelszone mit der EU. Auch Transnistrien beteiligt sich mittlerweile daran. Ende 2016 exportierte Moldau sechsmal mehr in die EU als nach Russland, der weitaus größte Teil davon ging nach Rumänien.

 

Moldau wird dadurch allerdings immer abhängiger von EU-Institutionen und Mitgliedsstaaten sowie von den USA, die Subventionen und Niedrigzins-Kredite bereitstellen. Seit 2009 sind drei Milliarden Euro aus dem Westen in das Land geflossen.

 

Ein großer Teil dieses Geldes landete in den Taschen von Oligarchen. Das beschädigt das Vertrauen der Moldauer in die EU. Nach acht Jahren unter Führung der kommunistischen Partei befürworteten 2009 noch 70 Prozent der Bevölkerung einen EU-Beitritt. Nach sieben Jahren einer Pro-EU-Koalition fiel die Zahl der Befürworter auf 38 Prozent.

 

Die Trennlinie in Moldau verläuft nicht strikt zwischen EU-Befürwortern und Sowjet-Nostalgikern. Es ist vor allem die Kluft zwischen den Oligarchen und dem Rest der Bevölkerung, die das Land spaltet. Viele Moldauer sagen: Ohne Korruption wird es im Land aufwärts gehen. Sie wünschen sich Aufschwung und Unabhängigkeit, damit die Menschen im Land bleiben.

WIR DANKEN:

Edita Badasyan, Ulrich Bausch,

Natalia Ciubarov, Mila Corlateanu,

Constanta Dohotaru, Dmitri Elnic,

Gabriel Encev, Andrew Ghilan, Ana Gurdish, Stefan Junger, Ilkay Karakurt,

Philipp Maußhardt, Carline Mohr,

Ghalina Niculita, Alena Petelina,

Bernhard Riedmann, Sorina Stefarta,

Éric Vazzoler, Roxanna Werter, Tilman Wörtz

und den Mitgliedern der Advanced

School of Journalism Chișinău.


 

Illustration: Jana Kreisl